"Die aktuellen Teilzeitklauseln sind unklar und intransparent"

02.09.2021

Hendrik Scherer, Geschäftsführer PremiumCircle Deutschland GmbH / Foto: © PremiumCircle Deutschland GmbH

Seit einigen Jahren bieten einige BU-Versicherer Teilzeitklauseln an. Hendrik Scherer, Geschäftsführer der Informations- und Beratungsgesellschaft für die Gesundheits- und Versicherungswirtschaft, Premium Circle Deutschland GmbH, erklärt im Interview, warum er diese kritisch sieht. 

finanzwelt: Sollte ein guter BU-Tarif eine Teilzeitklausel enthalten? Hendrik Scherer: Nein, denn solange in den AVB nicht nachvollziehbar und verbindlich geregelt ist, wie die Teilzeitklausel im Leistungsfall konkret angewandt wird, welche Nachweise in welcher Form vorzulegen sind oder wie sie mit den gesetzlichen Vorschriften des § 172 VVG (Leistung des Versicherers) in Einklang gebracht wird, bietet diese Klausel keinen messbaren Mehrwert. Ganz im Gegenteil: Es sind Konstellationen vorstellbar, bei denen eine solche Klausel im Leistungsfall einen Nachteil für den Kunden bedeuten könnte.

finanzwelt: Sind die zunehmend beworbenen Teilzeitklauseln mehr Marketing als Innovation? Scherer: Ja. Wo bitte gibt es denn in der BU-Versicherung wirkliche Innovationen? Die von den Anbietern derzeit vorgenommenen Änderungen der AVB beziehen sich im Wesentlichen auf eine Angleichung an die Regelungen des Marktes. Aktuelle Teilzeitklauseln sind unklar und intransparent. Hierzu mal nur ein Beispiel anhand der Formulierung der Condor Lebensversicherungs-AG (AVB BU-Versicherung 9T09, Stand 01.01.2021): „Reduziert die versicherte Person während der Versicherungsdauer aus anderen als medizinischen Gründen ihre vertraglich fixierte wöchentliche Arbeitszeit, bleibt für die Beurteilung einer Berufsunfähigkeit die während der Versicherungsdauer höchste vertraglich fixierte wöchentliche Arbeitszeit maßgebend (Auszug Teilzeitklausel)“.

Warum werden medizinische Gründe ausgeschlossen?, anhand welcher Parameter erfolgt die Unterscheidung zwischen anderen und medizinischen Gründen?, von wem wird dies wie festgelegt?, welche Auswirkungen haben Abweichungen zwischen der tatsächlichen und der vertraglich fixierten Arbeitszeit? (z. B. gesetzlich zulässige Überstunden), wie erfolgt die konkrete Anwendung im Leistungsfall?

finanzwelt: Was bedeuten unklare und intransparente Formulierungen für den Leistungsfall? Scherer: Versicherer prüfen Leistungsfälle im Detail unternehmensindividuell höchst unterschiedlich. Es fehlen nicht nur für die Teilzeitklausel, sondern für die gesamten AVB der BU-Versicherung in der Breite verbindliche Leitplanken und klare Formulierungen. Die AVB werden im Leistungsfall häufig nach Belieben ausgelegt. Insgesamt 130 unverbindliche Formulierungen und unbestimmte Begriffe innerhalb der Bedingungswerke der Anbieter sind die Kernproblematik der Berufsunfähigkeitsversicherung.

finanzwelt: Gibt es eine Teilzeitklausel, die aus Ihrer Sicht eindeutig formuliert ist? Scherer: Nein. Unter dem Oberbegriff „Teilzeitklausel“ gibt es aktuell im Wesentlichen zwei verschiedene Ausrichtungen. Zum einen die Fokussierung auf die Arbeitszeiten und zum anderen mit Hauptaugenmerk auf die Ermittlung der „beruflichen Tätigkeit“ und die Berücksichtigung von zusätzlichen Tätigkeiten wie beispielsweise die Pflege pflegebedürftiger Angehöriger. Leider fehlen bei beiden Ausrichtungen verbindliche Regelungen über die konkrete Anwendung im Leistungsfall.

finanzwelt: Gibt es einen unabhängigen Marktüberblick über die derzeitigen Teilzeitklauseln für Makler? Scherer: Nein. Aufgrund der verschiedenen Ausrichtungen dieser Klausel und der Kernproblematik oftmals unklarer AVB ist es aktuell nicht möglich, eine fundierte und haftungssichere Empfehlung für die Teilzeitklausel zu geben. Einen Lösungsansatz bietet die im Oktober 2021 erscheinende Erweiterung der PremiumSoftware. Die PremiumSoftware ist die Referenzsoftware für präzise, umfassende und quellenbasierte Identifikation relevanter Versicherungsleistungen. Es wird eine zusätzliche Analysefunktion geben, die es ermöglicht, die Unterschiede der verschiedenen Teilzeitklauseln ohne Wertung im Detail gegenüberzustellen. Mit dieser Zusatzfunktion können Nutzer ihren Kunden zumindest eine Entscheidungshilfe für eine Teilzeitklausel anbieten.

finanzwelt: Wie sehen Sie die Entwicklung der Teilzeitklausel, gibt es hier Fortschritte hinsichtlich der Präzisierung in den AVB? Scherer: Ja. Es ist erkennbar, dass einige wenige Anbieter unsere Kritik an der Teilzeitklausel aufgegriffen haben und sich entsprechend bemühen, ihre Klausel verständlicher zu formulieren. Gerade weil die BU-Versicherung aus unserer Sicht die eigentlich wichtigste Absicherung der Arbeitskraft ist, sollten insgesamt verbindliche AVB im Interesse aller Beteiligten sein.